Renate Wiedemann

Weckgläser

“Weckgläser”, 2001, Weckgläser, Pappbuchstaben, Holz

Buchstaben und Sätze neigen als Stellvertreter für Laute und Bedeutungen zur Immaterialität und beanspruchen deshalb körperlich substanziell eigentlich nichts. Bildhauerei aber hat- auch heute noch- mit Körper, Raum und Volumen zun tun, mit Gewicht, Schwerkraft und Material.

Die Bildhauerin Renate Wiedemann gibt den Buchstaben und den aus diesen gebildeten Worten und Sätzen einen Körper und macht sie damit angreifbar. Wenn aber ein Buchstabe einen Körper erhält, kann man alles mit ihm machen, was ein Körper zulässt. Man kann ihn anfassen und allseitig betrachten, hochwerfen, aufschichten, ankleben. Man kann ihn aufessen wie die Buchstaben in der Suppe. Also kann man ihn auch - so wie hier zu sehen - einmachen.

In diesem Falle kann man sich fragen, ob die Buchstaben in Weckgläsern Zeichen der Sorge sind, zukünftig möglicherweise buchstäblich nichts mehr zu sagen zu haben. Für diesen Fall ist sinnvollerweise Vorsorge zu treffen. Für einen Abgeordneten könnte das übrigens durchaus eine existenzielle Sorge sein, die ans Eingemachte geht. Daher ist ein Vorrat an Buchstaben im Büro gewissermaßen beruhigend.

Allgemein gesagt handeln viele der Schriftstücke von Kommunikation, deren Eindeutigkeit, der Komplikation, der Verweigerung. Kommunikationsmittel sind existenziell wichtig. Sie sind lebensnotwendig. Es ist daher ausgesprochen ratsam, sie verfügbar zu haben und zuzubereiten wie Lebensmittel im Einmachglas, um sie dann im richtigen Zeitpunkt nutzen zu können.

In der Arbeit mit den Einmachgläsern erprobt Renate Wiedemann auf unkompliziert witzige Weise das Prinzip, mit wechselnden Perspektiven umzugehen. Sie zeigt hier die Materialisierung des gewöhnlich Immateriellen , oder anders gesagt, die ungewöhnliche Transformation potentiell bedeutungsvoller Zeichen in gewöhnlich bedeutungsoffene plastische Objekte.

Die Buchstaben sind befreit von der Konvention, solche sein und Worte bilden zu müssen, um lesbar zu werden. Vielmehr verwandeln sie sich in vielgliedrig verästelte Körper, die wie fernöstliche Delikatessen oder sich selbst zersetzendes Wurzelwerk erscheinen.

Auszug aus der Eröffnungsrede von Prof. Ullrich Hellmann (Akademie der Bildenden Künste Mainz) anläßlich der Ausstellung „Beglückendes Ende“ von Renate Wiedemann im Abgeordnetenbüro von Manfred Geis im Mainzer Landtag 2007

"eingeweckt" 2007, Weckglas , Klebebuchstaben

Fotos:Heike Overberg

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